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Auch das Rampenlicht wirft Schatten - Folge 2 - Volkan Baydar

Volkan baydar

Volkan Baydar wurde im Jahr 2000 als Sänger der deutschen Pop-Band Orange Blue bekannt. Selbst wem der Name auf Anhieb nichts sagt, erinnert sich spätestens beim Hören von Hits wie „She’s got that light“ oder „Can somebody tell me who I am?“ an die unverwechselbare Stimme.

 

In unserem Interview erzählt der in Hamburg lebende Vollblut-Musiker von seinem teilweise recht holprigen Weg, einem kompletten Neustart und darüber, was Erfolg für ihn ganz persönlich bedeutet. 

 

Volkan Baydar auf der Bühne
© Alexander Schönberg

Viele Künstler sprechen lieber über ihre Erfolge als über die Schattenseiten des Business. Was hat Volkan Baydar also bewogen, an unserer Reihe teilzunehmen? „Die Anfrage bedeutet ja, dass man Vertrauen in den angefragten Künstler hat, dass es ein Informationsbedarf über sein Erleben, seine Situation gibt Ich sehe es als eine gewisse Verantwortung auch über solche Themen zu sprechen und teile meine Erfahrungen gerne. Wenn sich andere darin wiederfinden können, ist das ein schönes Gefühl.“

 

„Immer wenn ich mich gegen etwas entschieden habe, habe mich für etwas anderes entschieden“

 

Teilen kann der Sohn türkischer Eltern eine ganze Menge an Erfahrungen. Nicht alle davon sind gut. Er singe bereits seit frühester Kindheit, erinnert sich der 52-Jährige. „Meine Familie sagt, ich hätte irgendwann mit etwa zwei Jahren damit angefangen und einfach nicht mehr aufgehört“. Er habe Musik schon immer geliebt. Und sie war eine willkommene Kompensation. „Aufgrund meiner Herkunft war ich in der Schule ein Außenseiter. Meine Eltern waren sehr modern, dennoch habe ich einfach nicht dazugehört.“ Das Singen sei quasi aus einem Defizit heraus entstanden, als eine Art der Erfüllung – und nicht mit dem Ziel reich und berühmt zu werden. Er habe sich schon sehr früh gefragt, was das Ziel des Lebens sei und ob man je an einem Ziel ankomme oder ob die Suche immer weiter gehe. Mit seinem Vater habe er bereits als Jugendlicher diskutiert, was denn genau Erfolg bedeute. Ist das bestandene Abitur ein Erfolg, ein Ziel? Was kommt danach? Eigentlich hatte er den Plan, Psychologie zu studieren, aber sein Schnitt stand dem Vorhaben im Weg.

 

„Nebenbei habe ich schon immer Musik-Aufnahmen gemacht. Und ich habe mich immer von meinem Gefühl leiten lassen.“ Statt zum Studium führte ihn dieses Gefühl – erst mal - an die Stage School Hamburg, wo er ein Voll-Stipendium für eine Ausbildung zum Musical-Darsteller erhielt. Diese brach er ab, um die Hauptrolle in „Pico – Das Starclub-Musical“ im Hamburger Delphi-Theater zu spielen. Und er ließ sich weiter leiten. „Ich stieg aus dem Musical aus und machte meinen Taxi-Schein, fuhr Taxi.“ Sein neues Ziel: eine Schauspiel-Ausbildung in New York. „Immer wenn ich mich gegen etwas entschied, entschied ich mich für etwas anderes“. 

 

„Man muss authentisch bleiben und an sich glauben“

 

Trotz begonnener Schauspiel-Ausbildung schlug sein Herz weiterhin für die Musik. Im Jahr 2000 erhielt er gemeinsam mit Vince Bahrdt, mit dem er bereits seit einigen Jahren musikalisch zusammenarbeitete, einen Plattenvertrag. „Den Vorschuss gaben wir komplett für die Einspielung des Albums aus. Wir wollten echte Streicher, ein echtes Schlagzeug. Keiner hatte vorher an uns geglaubt und wir bekamen viele Absagen.“ Es sei nicht die richtige Zeit für eine große Ballade mit echten Instrumenten, wurde ihnen gesagt. „Ich habe daraus für mich mitgenommen, dass man eigentlich immer das Gegenteil von dem tun sollte, was andere einem raten. Vor allem muss man authentisch bleiben und an sich selbst glauben.“ Das erste Orange Blue-Album „In love with a dream” wurde veröffentlicht und innerhalb von rund sechs Monaten „gings von 0 auf 100“. Er sei zu der Zeit noch Taxi gefahren und wurde immer öfter erkannt. „Die Leute haben angefangen, mich zu fragen, warum ich das mache, wo ich doch einen Hit im Radio hatte“. 

 

Die Single „She’s got that light” erreichte Gold-Status und öffnete Türen. Baydar sagt, er habe sich durch den Erfolg nicht verändert, er habe weiterhin alle Menschen gleichbehandelt. Aber das Umfeld verändere sich und man selbst werde definitiv anders behandelt. „Und dadurch verändert man sich irgendwann dann doch auch.“ Er habe seine Reaktionen angepasst, eine Mauer aufgebaut, sei nicht mehr überall hingegangen. „Da war plötzlich eine sehr große Diskrepanz zwischen dem, wie ich in meiner Kindheit behandelt wurde und wie die Menschen jetzt mit mir umgingen.“ Der Erfolg löse keine Probleme, aber er lenke davon ab. Die Themen, die man vorher mit sich rumgetragen habe, blieben aber unverändert. „Nur plötzlich hat man Geld, man kann sich die Liebe, die Anerkennung, die man vermisst hat – vermeintlich – kaufen indem man Leute einlädt, Geschenke macht.“ Er habe viel Geld ausgegeben in dieser Zeit. „Und wir haben viel Quatsch gemacht, rumgealbert, Dinge nicht ernstgenommen – auch in unpassenden Situationen. Wir saßen zum Beispiel in bekannten Talkshows und haben die Fragen ins Lächerliche gezogen. Letztlich war das aber eine Art Schutzfunktion, wir konnten mit der ganzen Aufmerksamkeit nicht umgehen“.

 

 

Den Song 'Denn wir lieben es' aus Volkan Baydars im nächsten Jahr erscheinenden Solo-Album gibt es seit 22. September 2023 auf allen üblichen Streamingplattformen zu hören. Klickt auf den nebenstehenden Link für eine große Portion gute Laune-Musik!


„Angst begleitet alle Künstler“

 

Schließlich zog Volkan Baydar mit Sack und Pack nach Los Angeles. Der Liebe wegen. „Ich hörte auf, Kunst zu machen. Und ich habe weiter eingekauft. Einfach weil ich es konnte.“ Drogen und Alkohol gehörten ebenfalls zu seinem neuen Leben Nach zweieinhalb Jahren zerbrach die Beziehung und er kam „quasi mit leeren Händen“ nach Deutschland zurück, musste alles zurücklassen. „Beim Tanken stellte ich fest, dass meine Konten in Deutschland überzogen sind und ich nicht mal mehr den Sprit bezahlen konnte“. Es war ein harter Aufschlag. Er zog wieder bei seinen Eltern ein, verzichtete auf die Drogen und fing mit Yoga an. „Eigentlich hat die Sinnsuche erst da richtig angefangen“. Mit einem alten Klavier und einem analogen Aufnahmegerät fing er wieder an, Musik aufzunehmen. „In Deutschland hat niemand auf mich gewartet, um mich mit offenen Armen wieder aufzunehmen. Ich musste ganz von vorne anfangen“. 

 

Rückblickend sei das eine sehr wichtige Erfahrung gewesen. „Geld zählt für mich nicht zum Erfolg. Aber dass das so ist, muss man durch tiefgreifendes Erleben herausfinden.“ Natürlich helfe es und mache das Leben leichter „aber niemand bedauert auf dem Sterbebett, zu wenig verdient zu haben“. Insbesondere nach der Geburt seines Sohnes 2009 habe er Erfolg für sich nochmal ganz neu definiert. Für ihn sei Erfolg, seine eigene Mitte zu finden. Um dies zu erreichen, habe er vieles ausprobiert und hart an sich gearbeitet. „Ich bin noch immer nicht ganz am Ziel, aber auf einem sehr guten Weg.“ Manche Themen blieben einem erhalten und man müsse weiter daran arbeiten. „Mich musikalisch ausdrücken zu können, ist mir sehr wichtig und gehört mit zu meiner Definition von Ankommen und Selbstfindung“. Es sei sehr wichtig, Vertrauen zu haben in sich selbst und in das, was man tut. „Angst begleitet alle Künstler“, ist Baydar sicher. Er selbst habe aber immer „so eine Art Gottvertrauen gehabt“. Dieses tiefe Vertrauen war vermutlich seine wichtigste Ressource, um weiterzumachen. „Im Film ‚Die Verurteilten‘ sagt einer der Charaktere ‚du musst dich entscheiden, ob du leben oder sterben willst, nur darum geht es‘ – so ähnlich fühlte es sich auch für mich an.“ Ich habe mich für das Leben entschieden, habe angefangen für kleines Geld für andere Bands zu singen, zu schreiben. „Talent ist super, aber ohne Fleiß und Arbeit ist es nichts wert“. Zum Glück habe er auch Anteile, die nicht nur bescheiden seien, er sei sehr glücklich mit dem, was er könne und mache. Auch das habe ihm geholfen, wieder Fuß zu fassen und weiter an sich zu glauben. „Ich finde, als Künstler mit einem Talent hat man auch eine große Verantwortung – auch die Verantwortung der Welt etwas zu geben.“ 

Volkan Baydar S/W mit gefalteten Händen
© Alexander Schönberg

„Auch heute gibt es noch Aufs und Abs“

 

Heute geht es Volkan Baydar wieder gut. Er wirkt entspannt, reflektiert und in sich ruhend. Er hat eine eigene Produktionsfirma und ein Studio, in dem er auch andere Künstler produziert. Und er singt weiterhin auch selbst. Sowohl mit Orange Blue als auch in anderen Projekten und allein. Er habe viel Arbeit und mache, was ihm guttut. „Natürlich gibt es Auf und Abs und ich kämpfe nach wie vor mit einigen Themen. Ich bin niemand, der die Frage wie es mir geht immer nur mit ‚gut‘ beantwortet. Man muss nicht damit hausieren gehen, aber es hilft, wenn es Menschen gibt, denen man ehrlich sagen kann, wenn es einem mal nicht so gut geht.“ Er beobachte sich selbst viel von außen und werde immer gefestigter. Außerdem sei er über die Jahre viel sensibler sich selbst gegenüber geworden. „Meine Antennen werden immer feiner.“ 

 

Künstlern wird oft nachgesagt, sie seien kreativer, wenn es ihnen schlecht geht. Gefragt, ob das auch bei ihm so sei, zögert Baydar. Bis etwa Ende 30 sei das tatsächlich so gewesen, dass er seine besten Schaffensphasen in Down-Phasen gehabt habe. Inzwischen sei das aber anders, klar habe jeder mal bessere und mal schlechtere Tage, aber er brauche nicht down zu sein, um Songs zu schreiben und wolle sich ganz sicher auch nicht absichtlich runterbringen, um kreativ zu sein. 

 

„Manchmal ist es schwerer keine Meinung zu haben, als zu allem eine zu haben“

 

Was würde Volkan Baydar jungen Künstlern mit auf den Weg geben wollen? Er werde tatsächlich hin und wieder gefragt, wie man es denn schaffen kann. „Ich frage dann, was „es schaffen“ denn für denjenigen konkret bedeutet. Häufig kommt als Antwort ‚na berühmt zu werden‘ oder ‚reich zu werden‘. Ich kann jedem jungen Menschen nur raten, ‚es schaffen‘ mit Sinn und Inhalt zu füllen und sich genau zu überlegen, was er oder sie denn wirklich erreichen möchte. Man muss diese Frage wirklich zu Ende denken.“ 

 

Dazu komme, dass Corona sehr viel verändert habe – insbesondere auch den Umgang mit Künstlern. „Es ist ein ständiges Abwägen geworden, was man sagen darf und was nicht“. Man müsse sehr vorsichtig sein. „Wenn wir alle bei uns bleiben und uns öfter sagen würden, dass jeder für sein Handeln einen Grund hat, würde man Situationen oder auch Menschen nicht so schnell be- und verurteilen. Alle haben irgendwie recht, es gibt kein objektives Richtig und Falsch. Auch in der Kunst nicht.“ Manchmal sei es schwerer, keine Meinung zu etwas zu haben, als zu allem eine zu haben. 

 

Ständigen Bewertungen ausgesetzt zu sein, das Leben in der künstlichen Welt des Internets sei für viele Menschen sehr anstrengend und eine Entwicklung, die nicht unbedingt gut sei. Aber zu allem gäbe es eine Gegenbewegung. Die Natur strebe nach Ausgleich, ist der Musiker überzeugt. „Vielleicht sind die zunehmenden psychischen Erkrankungen wie z.B. Burnout eine Art von auf null stellen und der Anfang eines Umbruchs, eines Zurück in ein entschleunigteres und echteres Leben“. 

 

Vielen Dank, Volkan Baydar für das Teilen deiner inspirierenden und Mut machenden ganz persönlichen Geschichte! (mak)

Mental Health Tipp:

Die Fähigkeit, mit Rückschlägen und schwierigen Situationen umgehen und bestenfalls gestärkt daraus hervorgehen zu können, statt daran zu zerbrechen, nennt man Resilienz. Wer – wie viele Menschen – nicht von natur aus resilient ist und zum Beispiel Schwierigkeiten hat, nach Tiefschlägen wieder auf die Füße zu kommen, kann bei einem Resilienz-Training oder -Coaching lernen, wie man vorhandene Ressourcen nutzt, um sich selbst zu stärken. Dabei geht es zum Beispiel darum, sich an vergangene Herausforderungen zu erinnern und wie man es geschafft hat, diese zu bewältigen. Außerdem werden persönliche Kraftquellen und eigene Stärken ebenso betrachtet wie eventuell beobachtetes oder erlerntes Verhalten. 

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