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Auch das Rampenlicht wirft Schatten - Folge 4 - Tetje Mierendorf

Tetje Mierendorf

Als Tetje Mierendorf 2004 durch das SAT1-Format ‚Mein großer dicker peinlicher Verlobter‘ einem breiten Publikum bekannt wurde, hatte er bereits eine Banklehre und mehrere Musicalrollen hinter sich. Egal ob in der ‚Schillerstraße‘, bei ‚Let’s dance‘ oder in seinen Musical-Rollen wie Edna Turnblad in ‚Hairspray‘: Er war der lustige Dicke. Mit rund 180 kg zu ‚Spitzenzeiten‘ und einiger durch sein Gewicht und die ungesunde Lebensweise verursachter gesundheitlicher Probleme, beschloss er 2014, dass weiterzuleben und seine Tochter aufwachsen zu sehen, doch wichtiger sei als weiter seiner Sucht nach Schokolade zu frönen. Er nahm etwa 40% seines Gewichtes ab, hat sein Zielgewicht erreicht und es bis heute gehalten. 

In Musical-Produktionen ist er nicht mehr allzu häufig zu sehen, aber die letzten Monate stand er als Bill in Mamma Mia auf der Bühne. Dies liegt unter anderem daran, dass er Hamburg nicht gerne für längere Zeit verlässt und daher längere Engagements fast ausschließlich in seiner Heimatstadt annimmt. „Ich habe eine elfjährige Tochter, an deren Leben ich gerne teilhaben möchte“. Musicals seien eine schöne Abwechslung für ihn, erzählt der 51-Jährige. Als seinen Hauptjob sehe er aber seine Sprechertätigkeit. Hörbücher, Radio, Werbung, Synchronisation, Hörspiele - Tetje spricht!. „Der Vorteil am Sprechen ist, dass ich ganz viel von zuhause aus machen kann“. Während der Corona-Krise, als von einem Tag auf den anderen für viele Künstler das Licht ausging, kaufte er sich eine eigene Sprecherkabine und konnte so weiterarbeiten, weil er nicht darauf angewiesen war in ein Studio zu gehen. Seine breitgestreuten Verdienstmöglichkeiten hätten ihm in dieser für viele Kollegen enorm schweren Zeit sehr geholfen und ihm viel Stress erspart. Er wolle von seinem Beruf leben und seine Familie ernähren können, dafür müsse man eine gewisse Flexibilität mitbringen und auch mal Dinge tun, die einem vielleicht nicht ganz so viel Spaß machen. Das sei aber in anderen Berufen ja auch so. „Da macht auch nicht immer alles gleich viel Spaß“. Die Ungewissheit, was morgen sei und eine permanente unterschwellige oder manchmal auch sehr vordergründige Existenzangst sei ein Gefühl, dass alle Künstler kennen, ist sich der Schauspieler und Sänger sicher. „Diese Angst ist aber gleichzeitig eine gute Triebfeder für mich, zum Beispiel um ganz aktiv Akquise zu betreiben.“ Klinkenputzen und Leute anzusprechen sei absolut nicht sein Ding – „aber es gehört halt zum Job dazu“.  

Tetje Mierendorf lacht direkt in die Kamera
© Tine Rau

„Es ist keine Kunst EINE gute Show zu machen, aber acht Mal pro Woche die gleiche Qualität abzuliefern, ist manchmal echt schwierig.“

 

Der Nachteil an der Sprechertätigkeit sei, dass man dabei sehr viel allein ist. „Manchmal fehlt mir die Ensemble-Arbeit und es zieht mich doch wieder zurück auf die Bühne.“, begründet er seine sporadischen Abstecher in eine Musical-Produktion. Die Herausforderung einer Long-Run-Show wie Mamma Mia seien die acht Vorstellungen, die man pro Woche zu spielen habe. „Es ist keine Kunst EINE gute Show zu machen, aber acht Mal pro Woche die gleiche Qualität abzuliefern, ist manchmal echt schwierig.“ Die Zuschauer, die in der Regel nur eine dieser Shows sehen, hätten es aber verdient, dass jede Show top ist. Also gelte es, nicht immer alles zu geben, sondern mit seinen Kräften und der Stimme so ökonomisch hauszuhalten, dass auch die Show am Sonntagabend noch genauso gut rüberkommt, wie die erste Show der Woche. Wichtig sei dabei eine gute Work-Life-Balance und genug Zeit für das Privatleben. „Das ist mir in den vergangenen Monaten definitiv nicht immer gelungen. Ich hatte ja auch noch weiter meine Sprecherjobs und kam so häufig auf 70 Stunden Arbeitszeit pro Woche“. Deswegen habe er sein Engagement auch nicht bis zum Ende der Spielzeit verlängert. Eine Entscheidung, die auch aus Verantwortung für die eigene mentale Gesundheit und zum Wohl der Familie getroffen wurde. Seine Familie und inzwischen auch der Sport (den er früher so gar nicht mochte) seien seine wichtigsten Ressourcen, um aufzutanken und wieder Kraft zu schöpfen. „Aber auch aus der Abwechslung, die mir meine unterschiedlichen Tätigkeiten bieten, ziehe ich Energie.“ Außerdem arbeite er grundsätzlich gern und auch gern viel. „Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, in 15 Jahren in Rente zu gehen“, wagt er einen Blick in die Zukunft.

 

Vielleicht ist er dann ja noch immer mit einer seiner eigenen Shows zu sehen. ‚Tetje singt Elvis‘ zum Beispiel oder ‚Tetje singt Liebeslieder‘ mit denen er für Veranstaltungen gebucht werden kann oder die er auch immer mal wieder auf Kreuzfahrtschiffen zeigt. Im Gegensatz zu einer vorgegebenen Rolle, stecke in seinen eigenen Shows sehr viel Tetje. „Ich suche ja Songs aus, die ich mag und mit denen ich etwas verbinde. Außerdem erzähle ich einiges dazu“. 

 

„Ich komme noch aus einer Generation, in der die wichtigste Devise war, der Vorhang muss hochgehen, egal wie‘.“

 

Langweilig wird es ihm auf absehbare Zeit bei diesem Pensum sicher nicht. Aber ist es nicht auch eine große Verantwortung, immer auf den Punkt fit sein zu müssen, wenn Shows anstehen, Aufnahmen fertig werden müssen oder das Publikum auf einen wartet? „Ich komme noch aus einer Generation, in der die wichtigste Devise war, „der Vorhang muss hochgehen, egal wie.“ Man habe sich mit Kollegen abgestimmt, sich wenn nötig gegenseitig entlastet, damit die Stimme etwas geschont werden konnte, hat sich erkundigt, ob eine Vertretung verfügbar wäre, wenn es doch mal gar nicht ging.

„Die neue Generation an Darstellern ist ganz anders geprägt, als wir es noch waren“. Da stehe häufig die Work-Life-Balance von Anfang an ganz anders im Fokus. Seinem Erleben nach seien mentale und psychische Gesundheit auch kein Tabu-Thema mehr in der Branche. Ganz im Gegenteil, es werde sehr viel darüber gesprochen. „Die Kollegen, die jetzt nachkommen, fragen viel eher, was das Theater für sie tun kann“, das unbedingte Drängen auf die Bühne, das Rollenannehmen um jeden Preis, das sei aus seiner Sicht vorbei. Heute falle auch mal eine Vorstellung aus, wenn es zu viele Kranke gebe. Grundsätzlich hätten sich die Zeiten einfach geändert und die Arbeitgeber müssen sich anpassen, müssen die Situation auch in den Verträgen berücksichtigen, denn in der Vergangenheit sei doch häufig künstlerischer und körperlicher Raubbau betrieben worden. Besonders für Menschen mit Familie oder gar alleinerziehenden Elternteilen sei es extrem herausfordernd gewesen, einem Bühnenjob nachzugehen.  

Tetje Mierendorf stützt sich auf seine Hand und lächelt
© Tine Rau

Doch nicht nur der Job birgt einiges an Herausforderungen. Wie jeder andere Mensch, haben auch Künstler ihren ganz persönlichen Rucksack, an dem der eine schwerer, der andere leichter trägt.  Tetje Mierendorf selbst macht keinen Hehl daraus, dass unter anderem der sportliche Erfolg seines Bruders ihn als Kind sehr belastete. Er begann immer mehr Schokolade zu essen. „Von einem Dicken hat niemand mehr sportliche Höchstleistung erwartet, ich wurde nicht mehr verglichen.“ Als er 2014 beschloss abzunehmen, war ihm klar, dass dies nicht nur ein körperliches Projekt wird, sondern auch die Seele einen wichtigen Anteil daran haben müsse. Er begann, die Gründe für sein Gewicht zu hinterfragen und die Vergangenheit aufzuarbeiten. „Dadurch habe ich ein höheres Bewusstsein für meine körperlichen und emotionalen Bedürfnisse entwickelt und gelernt, Verantwortung für mich und meinen Körper zu übernehmen“. Er habe begriffen, dass er nicht ausgeliefert sei, sondern er selbst etwas verändern, selbst aktiv werden könne. 

 

 

„Ich mache mich nicht mehr klein, damit andere über mich lachen können“

 

Hatte er keine Angst mit dem Gewicht auch seinen Typ zu verändern und sein Alleinstellungsmerkmal als ‚lustiger Dicker‘ zu verlieren? Nein, darüber habe er sich keinerlei Gedanken gemacht, antwortet er wie aus der Pistole geschossen und schiebt eine Gegenfrage hinterher: „Ist es denn wichtig, dass ich lustig bin?“ Er habe diese Nische gerne bedient und habe davon profitiert, dass es nicht viel Konkurrenz für ihn gab. „Ich habe mich lange Zeit nicht unwohl damit gefühlt“. Aber im Nachhinein musste er doch erkennen, dass er in dieser Zeit nicht immer ganz ehrlich zu sich war.  Positiv verändert habe sich für ihn, dass er keine Gags mehr auf Kosten seines Gewichts mache, dass er das Selbstzerstörerische abgelegt habe. „Ich mache mich nicht mehr klein, damit andere über mich lachen können“, was nicht heiße, dass er sich nicht auch mal selbst auf den Arm nehmen oder über sich selbst lachen könne – nur eben anders als früher. 

 

„Und die Stimme verändert sich ja nicht, wenn man schlanker ist“, merkt er an und verweist damit nochmal auf sein Hauptbetätigungsfeld – das Sprechen. Und natürlich das Singen. Einen Einbruch habe seine körperliche Wandlung nicht nach sich gezogen. Ganz im Gegenteil, es habe großes mediales Interesse ausgelöst, was für einen Künstler nicht ganz unwichtig sei. Was noch anders ist? Er müsse zu seinem eigenen Bedauern zugeben, dass er als nun deutlich schlankerer Mensch netter behandelt wird als vorher. Das sei etwas, was er nur schwer nachvollziehen könne. Das Schönheitsideal sei doch ohnehin ständigen Änderungen unterlegen und er wisse gar nicht, woher es komme, dass zum Beispiel jahrelang nur Magermodels auf den Covern von Mode- und Frauenzeitschriften zu sehen waren (und es auch heute noch überwiegend sind). Oft werde das damit begründet, dass Männer das lieber mögen, aber er persönlich kenne recht wenige Männer, die typische Kunden von Frauenzeitschriften seien oder diese wegen dem Cover kaufen. „Sexyness“ ist der 1,97 m große Mann mit der sonoren Stimme überzeugt, „hat nichts mit Schlankheit, sondern mit Selbstvertrauen und Ausstrahlung zu tun“. Und wer einem nicht sexy finde, hätte einem ganz einfach auch nicht verdient.

 

Tetje Mierendorf blickt ernst in die Kamera
© Johnny Johnson

„Sei Künstler, aber sei dir immer bewusst, dass die Welt nicht auf dich gewartet hat!“

 

 

Was ist ihm denn bei sich selbst wichtig? Wie möchte er denn gerne wahrgenommen werden? „Ich wäre zufrieden, wenn mich Menschen auf künstlerischer Ebene als zuverlässig, abwechslungsreich und unterhaltsam erleben“. Und wie sieht er sich selbst? Neugierig sei er, dankbar und lebensfroh. In seiner perfekten Welt wünsche er sich allumfassende Gerechtigkeit für alle Geschlechter, Ethnien und Orientierungen ebenso wie ein Umfeld, in dem sich alle Künstler so entfalten und arbeiten können, wie sie es sich gewünscht haben, als sie sich für den Beruf entschieden haben. Ohne ego-getriebene Führungspersönlichkeiten, dafür mit fairer Bezahlung und Wertschätzung für den Beruf durch Gesellschaft und Politik.

 

Jedem der auf die Bühne strebe, würde er gerne mitgeben, dass man sich nicht zu schade sein sollte, auch mal Unangenehmes zu machen. Und sich trotzdem selbst treu bleiben sollte. Manchmal sei es besser, gar keinen Eindruck zu machen, als einen schlechten Eindruck. Außerdem dürfe man ein ‚Nein‘ nicht persönlich nehmen. „Jedes Nein ist eine Stufe zum großen JA“, sagt er aus seiner eigenen Erfahrung. Man solle die Eitelkeit beiseiteschieben und jede negative Kritik, jede nicht erfolgreiche Audition zum Lernen nutzen. Und last but not least: „Sei Künstler, aber sei dir immer bewusst, dass die Welt nicht auf dich gewartet hat!“

 

Danke, Tetje, für das angenehme Gespräch und deinen Mut, auch kritische Themen anzusprechen. 

Mental Health Tipp:

 

“Das Kind in dir muss Heimat finden“ heißt ein Bestseller der Psychologin Stefanie Stahl. Durch ihre auch für Laien verständliche Darstellung des Stoffes hat das Thema ‚Inneres Kind‘ auch außerhalb von Therapie-Praxen deutlich an Aufmerksamkeit gewonnen. Bei vielen Schwierigkeiten im Erwachsenenleben liegt der eigentliche Grund dafür in der frühen Kindheit. Schafft man es, die eigentliche Verletzung aufzuarbeiten, in dem man z.B. versucht herauszufinden, was das Kind damals gebraucht hätte und wie man dem ‚inneren Kind‘ heute dabei helfen kann, dieses emotionale Loch zu schließen oder die Situation aus heutiger Sicht zu betrachten und neu zu bewerten, kann dies dabei helfen, Verhaltensmuster zu durchbrechen oder Schutzhaltungen aufzugeben. Die Arbeit mit dem inneren Kind ist Teil verschiedener gängiger Therapie-Verfahren und bedarf einer entsprechenden Ausbildung.

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